Geeignetheit gerichtlicher und außergerichtlicher Mediation in Thüringen klären

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1418 -

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1418 -


I. Die Landesregierung wird aufgefordert, zu berichten und Stellung zu nehmen


1. zu Stand und möglicher Entwicklung des Modellprojekts zur Förderung der gerichtsinternen Mediation in Thüringen ("Güterichter") und im Bericht insbesondere auch Stellung zu nehmen

a) zu praktischen Erfahrungen und Aktivitäten - auch im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Modellprojekt, insbesondere hinsichtlich des gewählten Projekt-Modells, not- wendiger Qualifikationen der Personen, die Mediationen durchführen (sollen), und der Frage der Geeignetheit der Mediation für die jeweiligen Gerichtsbarkeiten, Verfahrensarten und "Prozesskonstellationen", der Einhaltung des Gebots des gesetzlichen Richters und des Freiwilligkeitsprinzips und weiteren Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitforschung,

b) dazu, wie nach Kenntnis der Landesregierung das Thema in anderen Bundesländern bearbeitet wird,

c) dazu, wie sich der Diskussionsstand zum Thema in der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder und im Bundesrat darstellt, vor allem hinsichtlich der Schaffung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung,

d) dazu, wie viele Fälle in Thüringen durch Güterichterinnen und -richter erledigt wurden und wie viele der Fälle letztendlich im streitigen Verfahren erledigt wurden und welche "Entlastungswirkung" (personell/verfahrenstechnisch) sich daraus ergibt,

e) zu den in Modellprojekt und Begleitforschung angewendeten wissenschaftlichen Modellen und Methoden und den Kosten (Personal/Logistik) für Modellprojekt und Begleitforschung sowie etwaigen Kostenersparnissen im Vergleich zur streitigen Erledigung von Gerichtsverfahren,

f) zu Abgrenzung bzw. Vor- und Nachteilen der gerichtsinternen Mediation im Verhältnis zur Güteverhandlung, zum "klassischen" gerichtlichen bzw. außergerichtlichen Vergleich sowie zur gerichtsnahen und außergerichtlichen Mediation;


2. zu Situation und möglicher Entwicklung der gerichtsnahen und außergerichtlichen Mediation in Thüringen und im Bericht insbesondere auch Stellung zu nehmen

a) dazu, wie viele Mediatorinnen und Mediatoren, insbesondere Rechtsanwältinnen und -anwälte, sowie (auf Landeskosten ausgebildete) Richterinnen und Richter mit entsprechender Nebentätigkeitsgenehmigung nach Kenntnis der Landesregierung außergerichtliche Mediation in Thüringen oder ande- ren Bundesländern anbieten und wie dieses Angebot von den Bürgerinnen und Bürgern genutzt wird; es sollte in diesem Zusammenhang, wenn möglich, auch darüber Auskunft gegeben werden, zu welchen Berufsgruppen die Mediatoren gehören bzw. welche Ausbildung(en) sie absolviert haben und wie sich die fachliche Diskussion um Absicherung der Qualitätsstandards entwickelt,

b) dazu, welche Regelungsvorschläge zur außergerichtlichen Mediation derzeit in der Diskussion sind, insbesondere zum Referentenentwurf der Bundesregierung, und wie die Landesregierung diese einschätzt - auch hinsichtlich der Auswirkungen auf Thüringen (z.B. Umgang mit der Öffnungsklausel des § 278a ZPO),

c) dazu, welche Probleme der Landesregierung hinsichtlich der praktischen Durchführung der gerichtsnahen und außergerichtlichen Mediation in Thüringen bekannt sind, insbesondere der Finanzierung, um auch sozial schwächer gestellten Personen die Inanspruchnahme zu ermöglichen.


II. Die Landesregierung wird aufgefordert,

a) auf Landesebene eine im Haushalt verankerte Förderung zur finanziellen Unterstützung der gerichtsnahen und außergerichtlichen Mediation zu schaffen, hierbei können Erfahrungen aus anderen Bundesländern genutzt werden,

b) sich auf Bundesebene, insbesondere im Bundesrat und in der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister, für die Klärung der Problemfelder mit Blick auf die Geeignetheit von gerichtsinterner, gerichtsnaher und außergerichtlicher Mediation zur Vermeidung bzw. Beendigung von Gerichtsverfahren einzusetzen und davon ausgehend ggf. Änderungsvorschläge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung einzubringen; dies betrifft vor allem die Einhaltung der Bindung an Recht und Gesetz, die Festschreibung einheitlicher Qualitätsstandards, Auskunfts- und Informationspflichten hinsichtlich der Risiken des Rechtsverlusts und des Abbaus finanzieller Zugangshürden,

c) für den Fall, dass sich die gerichtliche bzw. gerichtsnahe/außergerichtliche Mediation für bestimmte Rechtsfälle und Verfahrensgestaltungen als anwendbar erweisen sollte, entsprechende Regelungsvorschläge einzubringen, die die Mediation auf eine klare Regelungsgrundlage stellen,

d) im weiteren Diskussions- und ggf. Umsetzungsprozess auf Landes- und Bundesebene die umfassende Einbeziehung von Fachkompetenz in Sachen Mediation aus Praxis, Ausbildung und Wissenschaft sicherzustellen.


Begründung:


Das Instrument der Mediation kann als Methode der konsensualen Streitschlichtung dazu beitragen, dass es vor bzw. im Zusammenhang mit laufenden Gerichtsverfahren - insbesondere im zivilrechtlichen Bereich - langfristige und dauerhafte Lösungen für rechtliche Interessenkonflikte zwischen den beteiligten Verfahrensparteien gibt. In der Praxis ist leider nicht selten zu beobachten, dass die streitige Erledigung von Verfahren durch Urteil bzw. andere Formen der (hoheitlichen) gerichtlichen Entscheidung Konflikte zuspitzt und faktisch verlängert, statt sie zu lösen. Allerdings ist im Rahmen der Diskussion um die Einführung von Mediation auch zu klären, ob die Mediation bezogen auf Rechtsstreite ein geeignetes Instrument ist und welche Notwendigkeit dafür besteht, neben den bei (gerichtlichen) Rechtsstreiten schon vorhandenen konsensualen Streitschlichtungsinstrumenten der Güteverhandlung und des Vergleichs ein weiteres solches Instrument in Gesetz und Praxis aufzunehmen.


Ebenso zu berücksichtigen ist, dass ein kommunikationswissenschaftliches Streitschlichtungsinstrument einerseits und Rechtsanwendung - wenn auch in Güteverfahren - andererseits grundsätzlich zwei völlig voneinander zu trennende Verfahren sind und bleiben.


Die grundgesetzlich festgeschriebene Gesetzesbindung der Richter und Richterinnen und die damit untrennbar verbundene richterliche Unabhängigkeit sowie der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren - auch wenn es sich um gütliche Einigungen handelt - sollte nicht ohne Not einem schönen Schein und schönen Worten wie "Win-Win-Situationen" und "Neuer Streitkultur" geopfert werden, denn Rechtsanwendung, die ihre Legitimation aufgrund demokratisch erlassener Gesetze erfährt einerseits und kommunikationswissenschaftliche fast pädagogische oder psychotherapeutische Streitschlichtungsinstrumente wie die Mediation andererseits sollten grundsätzlich nicht nur unterschiedlichen Berufsgruppen vorbehalten bleiben, sondern auch verfahrensmäßig und inhaltlich nicht in die Gerichtsgebäude geholt oder in dafür eigens eingerichteten Mediationsräumen innerhalb von Gerichten durchgeführt werden, weil sonst die Parteien, die einen Vermittlungsversuch wünschen, einen grundlegend falschen Eindruck von Rechtsanwendung einerseits und kommunikationswissenschaftlicher Streitschlichtung andererseits bekommen könnten.


Ferner müssen bei Einführung und Umsetzung von Mediationsverfahren zur Vermeidung bzw. (unstreitigen) Beendigung von Verfahren folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das "Gebot des gesetzlichen Richters" darf nicht verletzt werden. In (juristischen) Interessenkonflikten darf sich nicht das "Recht des (gesellschaftlich) Stärkeren" durchsetzen, dies widerspräche der gesellschaftlichen und sozialen Ausgleichsfunktion des Rechts in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Insbesondere in der Strafgerichtsbarkeit, in der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit geht es um die Rechtmäßigkeit von hoheitlichen Handlungsrechten und -pflichten sowie - meist verfassungsrechtlich abgesicherten - Schutz- und Rechtsansprüchen, die wegen ihres Charakters und ihrer Funktion einer "Vermittlungslösung" nicht bzw. kaum zugänglich sind. Daher ist die Tauglichkeit der Mediation für die Gerichtszweige außerhalb der Zivilgerichtsbarkeit mit besonderer Aufmerksamkeit zu prüfen.


In die anstehende Diskussion um klare gesetzliche Regelungen für die außergerichtliche und die gerichtsinterne Mediation sollten zur Klärung der bestehenden Problemfelder daher auch Erfahrungen und Vorschläge aus Praxis (von Richterinnen und Richtern, Rechtsanwältinnen und -anwälten, Mediatorinnen und Mediatoren u. a.), Ausbildung und Wissenschaft (aus Forschungsprojekten, Rechtsbegutachtung u. a.) umfassend einbezogen werden.

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