Stoppsignal gegen die Aufkündigung des Sozialstaats - für ein Umsteuern hin zu guter Arbeit und fairen Löhnen in Thüringen

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1097 -

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1097 -


Die Thüringer Landesregierung wird aufgefordert,


I. im Bundesrat umgehend aktiv zu werden, um

1. die Sparpläne der Bundesregierung auf Kosten der sozial Schwachen mit aller Konsequenz abzulehnen;

2. sich für eine gerechte Lastenverteilung einzusetzen;

3. angesichts der in 2011 zu erwartenden Arbeitnehmerfreizügigkeit einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen; höhere tarifliche Mindestlöhne müssen für die jeweilige Branche für allgemeinverbindlich erklärt werden; dazu soll das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet und allgemeinverbindlich auf Antrag einer Tarifpartei erklärt werden;

4. Wirtschaftsförderung zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie eine Vermittlung in Arbeit nur dann zuzulassen, wenn diese den Standards guter Arbeit entsprechen. Zumutbar ist eine Arbeit nur dann, wenn die Qualifikation geschützt und die vorherige Lohnhöhe berücksichtigt werden. Die Aufnahme untertariflich entlohnter Arbeit ist generell nicht zumutbar.


II. über die Beschäftigungssituation und die Qualität der Arbeitsverhältnisse sowie über die Entlohnung in Thüringen zu berichten. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem folgende Fragen:

- Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem von der Bundesregierung angekündigten Sparpaket für den Freistaat Thüringen?

- Wie hat sich die Anzahl und Entlohnung der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze für Frauen und Männer in Thüringen seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 entwickelt?

- Welche Veränderungen hinsichtlich des vorhandenen Potenzials an Arbeitsplätzen sind für Thüringen im Verhältnis von unbefristeten Vollzeitstellen, Teilzeitstellen, geringfügiger Beschäftigung, Befristungen, Leiharbeit, Kurzarbeit zu konstatieren und wie bewertet die Landesregierung diese Entwicklung?

- In welchen Branchen der Wirtschaft sieht die Thüringer Landesregierung Möglichkeiten zur Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze, auch unter dem Aspekt der Deckung des zukünftigen Fachkräftebedarfs?

- Welcher Grad der Tarifgebundenheit der Unternehmen ist in Thüringen aktuell zu verzeichnen? Durch welche Aktivitäten beabsichtigt die Thüringer Landesregierung Einfluss auf die Erhöhung der Tarifbindungsquote zu nehmen?


II. darauf hinzuwirken und Initiativen zu ergreifen, die zum Ziel haben:

- dass unbefristete Vollzeitarbeit sozialversicherungspflichtig ist, existenzsichernd entlohnt und ausgebaut wird,

- dass für die Leiharbeit das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ab dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme gilt und die Verweildauer auf maximal ein halbes Jahr zu begrenzen ist,

- die Befristung von Arbeitsverträgen abzubauen und zu gewährleisten, dass sie insbesondere im öffentlichen Dienst grundsätzlich nur aus triftigen Gründen möglich ist,

- dass keine Subventionierung von nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Thüringen erfolgt,

- dass die Förderung von Unternehmen, die reguläre zusätzliche Arbeitsverhältnisse schaffen, verstärkt wird,

- dass die Öffentliche Hand Aufträge nur an Firmen vergibt, die soziale und ökologische Kriterien erfüllen; hierzu zählen vor allem die Zahlung von Tarif- bzw. Mindestlohn, die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Förderung und der gleichberechtigte Zugang von Menschen mit Behinderung und von Menschen mit Migrationshintergrund,

- dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz gestärkt wird, um insbesondere für ältere Arbeitnehmer gesundheitlichen Verschleiß und Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes zu vermeiden.


Begründung:


Von den 11,2 Milliarden Euro, welche die Bundesregierung im nächsten Jahr sparen will, gehen allein 4,3 Milliarden Euro zu Lasten der Arbeitsmarktpolitik und drei Milliarden Euro zu Lasten sozialer Leistungen. Das ist unverantwortlich und gefährdet den sozialen Frieden in Deutschland. Damit wird der Sozialstaat vollständig ausgehebelt und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes de facto abgeschafft.


Die wirtschaftliche Entwicklung in Thüringen in den letzten Jahren und die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise erfordern ein Umdenken in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik des Landes.


Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Thüringer Beschäftigungssituation weiter strukturell verändert. In Thüringen werden nach wie vor die niedrigsten Löhne bundesweit gezahlt. Etwa 60 Prozent der Beschäftigten erhielten nach eigenen Angaben in den letzten Jahren kein existenzsicherndes Einkommen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sinkt, insbesondere die Zahl der Vollzeitarbeitsstellen ist in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen, der Anteil der Teilzeitbeschäftigten hingegen ist gestiegen. Gerade Frauen werden in Teilzeitjobs gedrängt. Nahezu die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in Thüringen lebt in prekären Beschäftigungsverhältnissen, jede fünfte Frau verdient weniger als 469 Euro im Monat. Die angespannte Lage und die sich durch die Wirtschafts- und Finanzkrise ständig verschärfende Situation auf dem Thüringer Arbeitsmarkt führt dazu, dass täglich über 40 Menschen - meist junge Frauen - das Land in Richtung Altbundesländer verlassen und prekäre Beschäftigungsformen, wie Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Mini- jobs und Jobs in geringfügiger Beschäftigung, gesteigert werden.


Die kritische Lage auf dem Thüringer Arbeitsmarkt führt dazu, dass Arbeitnehmerrechte abgebaut, der Kündigungsschutz gelockert und die Arbeitsbedingungen erheblich verschlechtert werden. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, in Hartz IV abzurutschen, in Armut abzugleiten, drängt die Beschäftigten und Arbeitslosen dazu, selbst schlecht bezahlte Jobs, Teilzeit- oder Leiharbeitsjobs anzunehmen und selbst unter schlechtesten Bedingungen zu arbeiten.

Mit dem Thüringer Landesarbeitsmarktprogramm stehen Grundvoraussetzungen dafür zur Verfügung, dass öffentlich finanzierte Beschäftigungsmöglichkeiten für besonders Benachteiligte, Langzeitarbeitslose und Hilfebedürftige geschaffen werden können. Noch immer ist die Anzahl derer, die trotz Arbeit auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen sind, enorm hoch.


Das Landesarbeitsmarktprogramm Thüringens wird und kann diese Problematik allein nicht lösen. Mit dem Programmteil "Arbeit für Thüringen" sollen etwa 3 000 Langzeitarbeitslose durch Beratung, Betreuung und Qualifizierung in den Arbeitsmarkt integriert werden. ln Thüringen leben über 25 500 Personen über 55 Jahre von Leistungen nach dem SGB II, also Hartz IV.


Durch die Stärkung der Binnennachfrage, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, eine zielgerichtete Aus- und Weiterbildung, die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, den Abbau von befristeten Beschäftigungsverhältnissen und der Verkürzung der Arbeitszeit können wesentliche Voraussetzungen für den sozial-ökologischen Umbau der Thüringer Wirtschaft geschaffen werden.

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