Überlastungsproblem der Thüringer Sozialgerichte lösen - auch durch Änderungen des SGB II

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/182 -

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/182 -


I. Die Landesregierung wird aufgefordert, über die Situation der Sozialgerichte in Thüringen zu berichten und dazu Stellung zu nehmen, welchen Handlungsbedarf sie mit Blick auf die aktuelle Tatsachenlage sieht.


Insbesondere sollte die Berichterstattung auf folgende Gesichtspunkte eingehen:

a) Entwicklung der Verfahrenszahlen, der durchschnittlichen Dauer der Verfahren und der vorhandenen Personalstellen (insbesondere Richterstellen), Arbeitsbelastung, Krankenstände an den Thüringer Sozialgerichten. Die Ausführungen sollten sich in ihrem Schwerpunkt auf das Rechtsgebiet des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) beziehen, aber auch die übrigen Rechtsgebiete (z. B. Gesetzliche Krankenversicherung [SGB V], Gesetzliche Rentenversicherung [SGB VI], Sozialhilfe [SGB XII]) berücksichtigen, soweit sie von den Auswirkungen der "Hartz-IV-Klagewelle" betroffen sind.

b) Fragen der Weiterbildung der Richterinnen und Richter, insbesondere in den Rechtsgebieten SGB II, SGB XII, Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), SGB V und SGB XI sowie in medizinischen Fragen. Dabei sollte vor allem die Gruppe der seit 2005 neu in den Richterdienst an den Sozialgerichten aufgenommenen Richter in den Blick genommen werden, die zuvor andere Tätigkeiten im Bereich der Justiz ausgeübt haben.

c) aktuelle Kritik von Berufs- und Sozialverbänden sowie Betroffenen zur Situation der Thüringer Sozialgerichte, soweit sie der Landesregierung bekannt ist und etwaige Konsequenzen, die die Landesregierung daraus ziehen will

d) Informationen zur Situation der Sozialgerichte in anderen Bundesländern, soweit sie der Landesregierung vorliegen und wie die Landesregierung diese bei ihrer Meinungs- und Entscheidungsfindung berücksichtigen will

e) Diskussionsstand in der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder (JuMiKo) zum Problemfeld und Positionen, die die Thüringer Landesregierung vertreten hat. In diesem Zusammenhang sollte auch eine Darstellung und Bewertung des Erarbeitungsprozesses und der Inhalte der Abschlussberichte der Arbeitsgruppe der JuMiKo "Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte" (beraten auf der Herbstkonferenz am 5. November 2009 in Berlin) erfolgen; es sollte auch dargestellt werden, wie Thüringen sich am Umsetzungsprozess der Vorschläge der JuMiKo-Arbeitsgruppe beteiligen will und welche Position die Landesregierung im Bundesrat zum Problem der Überlastung der Sozialgerichte vertreten hat.

f) die Position (rechtlich-inhaltlich/mit Blick auf Verfahrensfragen) zu den beim Bundesverfassungsgericht rechtsanhängigen Verfahren (Az.: 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09) zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelsätze nach dem SGB II und mögliche Auswirkungen einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung auf die Belastung der Thüringer Sozialgerichte

g) Aussagen dazu, welche Auswirkungen etwaige Änderungen im SGB II auf die Regelungen des SGB XII (Sozialhilfe) und andere Rechtsgebiete wie z.B. das Steuerrecht (Stichwort steuerfreies Existenzminimum) haben könnten und Folgewirkungen auf die Verfahrenszahlen an den Thüringer Sozialgerichten

h) Aussagen dazu, wie Probleme der Zielkonflikte, der (Nicht-)Vereinbarkeit bzw. Widersprüchlichkeit rechtlicher Regelungen zwischen den einzelnen Rechtsgebieten des SGB - z.B. Anrechnungsvorschriften für Einkommen im SGB II und im SGB VI - sich auf die Arbeitsbelastung der Sozialgerichte auswirken


II. Die Landesregierung wird u.a. zum Zwecke der Entlastung der Thüringer Sozialgerichte aufgefordert, a) sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass durch Änderungen im SGB II, insbesondere durch

- Festlegung von bedarfsdeckenden Regelsätzen, die vor Armut schützen und eine selbstbestimmte Lebensführung unter Einschluss der Teilhabe am kulturellen und politischen Leben ermöglichen,

- Abschaffung des Konstrukts der Bedarfsgemeinschaften zugunsten eigener bedarfsdeckender Leistungsansprüche aller "bedürftiger" Personen unabhängig ihres Alters,

- Anrechnung von Einkommen und Vermögen in engeren Grenzen; die Freibeträge für Einkommen und Vermögen müssen insbesondere so gestaltet sein, dass Altersarmut vermieden wird,

- Abschaffung der Sanktionsvorschriften (insbesondere Leistungskürzungen und -streichungen),

Regelungen zugunsten der armutsfesten Existenzsicherung der Betroffenen durchgesetzt werden;

b) alle ihr zu Gebote stehenden Mittel auszuschöpfen, um zu verhindern, dass es im Rahmen des Gesetzesvollzugs des SGB II nach Auslaufen des für verfassungswidrig erklärten Modells der "ARGEn" zu einer getrennten Leistungs-Trägerschaft kommt; vielmehr soll durch eine verfassungskonforme Lösung bei der Neuordnung der Verwaltungsstrukturen das Prinzip der "Leistung aus einer Hand" beibehalten werden, nicht zuletzt um widerstreitende rechtliche Bewertungen zu ein und demselben "Fall" und daraus folgendes Konfliktpotential sowie das Ansteigen von Widerspruchs- und Klageverfahren zu verhindern.


Begründung:


Seit dem Inkrafttreten des SGB II im Jahr 2005 hat sich die Situation auch an den Sozialgerichten in Thüringen immer mehr zugespitzt. Die Verfahrenszahlen sind immer mehr angestiegen und führen nicht nur zu Personalengpässen, sondern zu Verfahrenszeiten, die mit Blick auf die Existenzsicherung der betroffenen Leistungsbezieher eine faktische Verweigerung des Rechtsschutzes darstellen. Mittlerweile diskutiert auch die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes (Ju- MiKo), wie auch über Änderungen im materiellen Recht des SGB II die Probleme an den Sozialgerichten gelöst werden können. Hinzu kommt, dass zurzeit die Regelsätze nach dem SGB II vor dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung stehen. Die dringend notwendigen Problemlösungen müssen unbedingt mit Blick auf eine Verbesserung der Situation der Leistungsbezieher gefunden werden.

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