10 Jahre Gewaltschutzgesetz - Auswirkungen und Handlungsbedarf zum Schutz von Frauen vor Gewalt in Thüringen

Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 5/4179

Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 5/4179

 

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, werte Besucher auf der Tribüne! Frau Holzapfel, ich muss erst einmal zwei Sätze zu Ihnen sagen, bevor ich zur inhaltlichen Begründung unseres Antrags komme. Sie haben mich so ein Stückchen jetzt herausgefordert, aber ich glaube, das war natürlich auch beabsichtigt.


Ich fange mal damit an, was der Hintergrund unseres Antrags heute ist. Der Hintergrund ist, dass sich meine Fraktion bzw. ich mit einer Vielzahl von Kleinen Anfragen, Sie haben Sie indirekt erwähnt, in den zurückliegenden Monaten angefangen von November/Dezember 2011 bis Januar/Februar in diesem Jahr, mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Zur Thematik Gewalt und Wegweisung bei häuslicher Gewalt. Dazu muss man auch sagen, wenn man sich die Anfragen und die Antworten dazu anschaut, von einer ordentlichen Beantwortung ist weiß Gott nicht die Rede. Ich habe mir also noch einmal die Kleine Anfrage 5/3510 mit nach vorn genommen, die sozusagen der Ausgangspunkt dieses Antrags war. Wenn man sich die Fragen und die Antworten dazu anschaut, so muss man leider lesen, hierzu liegen keine Daten vor, hierzu liegen keine Daten vor, hierzu liegen keine Daten vor. Also ich habe gefragt, in wie viel Fällen der Wegweisung waren Kinder in Familien betroffen? Antwort: Es lagen keine Daten vor etc. Ich habe einfach den Eindruck, dass der Innenminister Arbeitsverweigerung gemacht hat, indem er sich ganz geschickt hier aus der Situation herausmanövriert hat, indem er einfach antworten ließ: „Keine Daten liegen vor.“ Ich will es ausdrücklich noch einmal sagen, es hat nichts mit dem Sozialministerium zu tun, es hat nichts mit der Gleichstellungsbeauftragten zu tun, sondern es geht an die Adresse des Innenministeriums. Das ist Punkt genug, dieses im Ausschuss zu thematisieren.


(Beifall DIE LINKE)


Lassen sie mich auch noch auf Ihren Vorwurf eingehen, dass es die Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser kritisch sieht. Ich kenne eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen der Landesarbeitsgemeinschaft für Frauenhäuser, die sagen mir etwas anderes und die Interventionsstellen und die Mitarbeiter der Interventionsstellen sagen das auch.


Noch eine Anmerkung zu unserem Punkt 2 im Antrag, wo es um die Bewirtschaftungsreserve geht: Es gibt mehrere Argumente, die dafür sprechen, diesen Punkt genau drin zu behalten. Ein Argument ist der Antrag meiner Fraktion, dass das Parlament über Bewirtschaftungsreserven zu entscheiden hat, ist gestern durch Sie abgelehnt worden. Es ist nicht gegeben, dass im Jahr 2013 die Interventionsstellen, die Frauenhäuser, etc. nicht wieder genau vor der identischen Situation stehen wie in diesem Jahr. Wir haben also einfach nur mal vorgebaut, dass genau diese Problematik nicht wieder passiert.


Zum Thema Gewaltschutz - Frau Rothe-Beinlich hat es bereits angesprochen, Sie haben es sinngemäß gesagt - gab es immer einen guten Konsens in den zurückliegenden Jahren, es hier im Landtag und im Gleichstellungsausschuss zu bereden. Ich gehe einfach davon aus, dass das Thema so wichtig ist, dass wir es auch in der kommenden Ausschuss-Sitzung im Gleichstellungsausschuss noch einmal bereden.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun bin ich bei dem Punkt, wo ich auch sage, ja, zehn Jahre Gewaltschutzgesetz, es wurde Zeit, dass sich Gremien in den zurückliegenden Wochen ganz intensiv noch einmal damit befasst haben, inwieweit es novelliert werden kann und soll und muss. Es gab eine Vielzahl von Veranstaltungen in den zurückliegenden zwei Wochen, wo das Thema ganz weit oben auf der Agenda stand. Der Deutsche Juristinnenbund hat es sich noch einmal genau angeschaut und auch Vorschläge unterbreitet, wie es auf Bundesebene novelliert werden könnte.


Mit meinen einleitenden Worten habe ich bereits darauf hingewiesen, wie wichtig das Thema ist und warum wir es nicht nur heute hier im Landtag, sondern auch noch einmal im Ausschuss diskutieren wollen. Die Vertreterinnen der vier Thüringer Interventionsstellen haben uns im Ausschuss genau darauf hingewiesen, welche inhaltlichen Probleme in Thüringen noch geklärt werden müssen und welche inhaltlichen Fortschreibungen von Anträgen, von Maßnahmeplänen unbedingt notwendig sind. Wir haben im Ausschuss darüber gesprochen und bereits mehrfach heute hier, auch von Ihnen, Frau Holzapfel und von Frau Rothe-Beinlich, gehört, dass das Thema Gewalt gegen Frauen kein Privatthema ist, sondern dass es auch öffentlich thematisiert werden muss. Besonders wichtig scheint mir an dieser Stelle, noch einmal zu erwähnen, dass Gewalt kein sogenanntes Phänomen der Unterschichten ist, sondern Gewalt ist auch in den Familien zu Hause, wo gebildete Frauen und gebildete Männer zusammenleben. Das sollte uns auch ein Stückchen nachdenklich machen, wie wir hier noch einmal in der öffentlichen Diskussion einlenken und auch dieses „Sich Zugestehen, Opfer zu sein“ in der öffentlichen Diskussion begleiten können.


Berichte haben uns gezeigt, dass vor allen Dingen Frauen unterschiedlich von Gewalt betroffen sind. Frau Rothe-Beinlich sprach von den Flüchtlingsfrauen. Auch unterschiedlich betroffen sind natürlich Frauen, die inhaftiert sind, oder Frauen, die dem Beruf der Prostitution nachgehen. Auch müssen wir uns noch einmal diese Thematik Frauen mit Behinderungen, aber auch ältere Frauen und wie bereits erwähnt, Frauen nach Trennung anschauen, wie sie von Gewalt in dieser Phase, bevor sie sich trennen, aber auch nach der Trennung auseinandersetzen. Wir haben also um einen Bericht gebeten, der sicher nun aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit nicht mehr vor dem Sommer erstellt werden kann. Hier wären wir bereit, im Ausschuss oder hier im Landtag dafür zu plädieren, dass der Bericht seitens der Landesregierung auch im Frühherbst uns vorgelegt werden soll. Aber in diesem Bericht und mit den Zahlen aus dem Bericht wollen wir natürlich spezielle Handlungsfelder noch einmal genauer untersuchen.


Wir wollen herausfinden, warum in Thüringen die Frauenhäuser und die Polizei in den unterschiedlichsten Regionen von Thüringen so unterschiedlich aufgesucht werden, durch Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Wir brauchen auch einen Vergleich, wie sieht die Situation in Thüringen im Vergleich zu den anderen Bundesländern aus. Wir brauchen Analysen zu den Fragen, warum suchen Frauen, die von Gewalt betroffen sind, nur zu 16 Prozent der betroffenen Frauen wirklich medizinische Hilfe bei Ärztinnen und Ärzten. Warum gehen Frauen, wenn sie Gewalt erfahren haben, nur zu 14 Prozent zur Polizei und warum tätigen nur zu 6 Prozent der Frauen, wenn sie sexuelle Gewalt erleben, eine Anzeige. Das sind doch alles Themen, die wir uns einfach noch einmal anschauen sollten und auch in dem Ausschuss diskutieren.


Werte Abgeordnete, wir haben die Anhörung mit den vier Vertreterinnen der Interventionsstellen dazu genutzt, um den Antrag inhaltlich so auf den Weg zu bringen. Folgende Probleme sind noch offen: Wie kann die neu eingerichtete Notruftelefonnummer, die ab Januar 2013 geschaltet werden soll, verbreitet werden? Wir brauchen auch die Diskussion zukünftig darüber, gemeinsam noch einmal mit den Vertreterinnen der Interventionsstellen, wie können wir den Frauen, die den Mut hatten, sich an Polizei und an Frauenhäuser zu wenden, einfach besser helfen. Es ist die alte Diskussion, die wir auch immer wieder gehört haben, zwischen Datenschutz und Gefahrenabwehr. Sie steht weiterhin im Mittelpunkt und die muss auch einmal beredet werden. Es kann doch nicht sein, dass uns die Vertreterinnen der Interventionsstellen signalisiert haben, dass sie oft gar nicht die Möglichkeit haben, Frauen anzurufen und ihnen ihre Hilfe anzubieten, weil sie gar nichts davon wissen, dass sich die Frauen an die Polizei gewandt haben. Das hat doch mehrere Ursachen. Es hat einmal die Ursache, dass die Polizei bei den Einsätzen in aller erster Linie sich natürlich darum kümmern musste, um diese Gewaltsituation zu entschärfen, die vor Ort in der Familie war. Aber zweitens hat es natürlich auch die Ursache, dass die Polizei sich in dem Moment, wo sie in der Familie ist, als Allererstes die Frau, die von Gewalt betroffen ist, schützt. Drittens muss natürlich auch der Polizeibeamte/die Polizeibeamtin sich in dieser Situation oft selbst auch schützen. Wir haben auch in der Aussprache im Gleichstellungsausschuss erfahren, dass Polizistinnen, die in die häuslichen Gefilde gehen, da wo Gewalt stattfindet, dass sie auch oft von Gewalt betroffen sind. Auch hier braucht es noch einmal die Auseinandersetzung mit dem Innenministerium, wie die Beamtinnen und Beamten in solcher Situation besser geschützt werden können.


Weiter überlegt werden muss, werte Kolleginnen und Kollegen, wie die Opfer zukünftig besser geschützt werden, wenn sich der Täter - Frau Rothe-Beinlich hat es auch bereits angesprochen - nicht an die Wegweisung hält oder weiter gewalttätig ist. Dringenden Handlungsbedarf sehen wir auch bei betroffenen Kindern und Jugendlichen. Wir wissen, dass die Frage des Umgangs und des Sorgerechts noch nicht eindeutig geklärt ist. Auch die Unterschiede, wie Familienrichterinnen in Thüringen diese Problematik handhaben, zeigen uns, hier braucht es auch noch einmal die gemeinsame Beratung, einen Erfahrungsaustausch zwischen den Familienrichterinnen und -richtern, aber auch zwischen den Mitgliedern des Gleichstellungsausschusses.


Ja, werte Kolleginnen und Kollegen, da ich aus der Diskussion von Frau Holzapfel entnehmen konnte, dass die Koalitionsfraktionen scheinbar nicht so sehr gewillt sind, diesen Antrag an den Ausschuss zu überweisen, möchte ich noch mal an die gute Tradition erinnern, die der Ausschuss in den zurückliegenden Jahren hatte. Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ werde öfter im Ausschuss und nicht nur einmal gemeinsam beredet. Ich möchte auch an die gute Tradition erinnern, die es in dem Bundestag 2002 gab, denn hier waren es Frauen, Frau Holzapfel, die sich für dieses Gewaltschutzgesetz stark gemacht haben. Das sollten wir doch in Thüringen auch. Danke schön.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Präsidentin Diezel:


Herr Untermann, Sie wollten noch im Anschluss eine Frage stellen.



Abgeordneter Untermann, FDP:


Danke, Frau Präsidentin. Frau Stange, ich habe noch eine ganz kurze Frage zu dem gesamten Gebiet. Was ich hier in Ihrem Antrag ein bisschen vermisse, ist der Datenschutz. Wir wissen alle, viele wollen gar nicht haben, dass man sich in die Geschichte irgendwie einmischt. Ich denke, darüber müssten wir im Ausschuss - wenn das in den Ausschuss kommt - doch einmal diskutieren, wie das zu handhaben ist, also sich einmischen ohne Einverständnis der Eltern, das ist für die Kinder auch immer nicht so sehr angenehm, denke ich, dass wir uns darüber noch mal unterhalten müssen. Sehen Sie das eventuell auch so?



Abgeordnete Stange, DIE LINKE:


Das sehe ich genauso. Wenn Sie mir zugehört haben, habe ich sinngemäß gesagt, dass es da eine große Problematik gibt zwischen dem Datenschutz und den jetzigen gesetzlichen Regelungen. Das ist auch bereits angesprochen worden. Ich sehe schon, dass man hier auch gemeinsam eine Änderung hinbekommen muss. Ich würde mich freuen, wenn der Ausschussvorsitzende, der Ihrer Fraktion angehört, in der Beratung im Gleichstellungsausschuss da konstruktive Änderungsvorschläge einbringen würde. Danke.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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