Rehabilitierung verurteilter homosexueller Menschen 1/2

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 5/6074

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 5/6074


Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne und vor dem Live-Stream. Heute befasst sich der Thüringer Landtag mit einer seit vielen Jahren angeregten inhaltlichen Diskussion zum Thema Rehabilitation. Ich bin sehr dankbar, dass unsere beiden Fraktionen, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion DIE LINKE, diesen gemeinsamen Antrag nun endlich hier zur Diskussion stellen können, denn, wie gesagt, die Zeit ist mehr als reif dafür.


(Beifall DIE LINKE)


Meiner Meinung sind nach menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Maßstäben und Bestimmungen die auf Grundlage des § 175 Strafgesetzbuch und abgeleitet davon auch des § 175 a Strafgesetzbuch gefällten Urteile ein Verstoß gegen zentrale Menschen- und Grundrechte. Sie stellen aber auch einen Verstoß gegen die Grundrechte der sexuellen Selbstbestimmung und des Diskriminierungsverbots wegen sexueller Orientierung dar. Insbesondere der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung hierzu eindeutige Position bezogen. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lebenspartnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2002 stellt dies unter Beweis. Parallel dazu, und das wurde bereits erwähnt, sind im Deutschen Bundestag Anträge von verschiedenen Parteien diesbezüglich in der Beratung. Am 13.05.2013 hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages eine Anhörung durchgeführt mit Sachverständigen. Die laufenden Beratungen und die Anhörungen gaben mir noch einmal den Anstoß, uns in Vorbereitung dieses Antrags noch mal intensiver mit den Inhalten zu befassen und auseinanderzusetzen. Es ist nicht so, dass wir erst die Bundesratsinitiative von Dezember 2012 benötigt haben, um diesen Antrag auf den Weg zu bringen, sondern wir als LINKE und, ich denke, auch die GRÜNEN, haben uns vor allen Dingen an den Bundesrat und den Bundesratsbeschlüssen orientiert, die u.a. die Landesregierungen auffordern, auch etwas zur Rehabilitierung der Verurteilten nach 1945 auf beiden Seiten des deutschen Staates auf den Weg zu bringen. Also ein Anstoß liegt nicht nur in den vorgelegten Anträgen, sondern natürlich auch in den Diskussionen, die wir in den letzten Wochen hier im Landtag sehr, sehr oft auch zu anderen Themen der Gleichstellung von Lesben und Schwulen geführt haben.


Im Vordergrund stand in den zurückliegenden Wochen auch immer das Thema der sogenannten „Homoehe“. Selbst Frau Ministerpräsidentin äußerte vor wenigen Wochen, „dieses Sehnen nach der Ehe“, so will ich sie zitieren, als ein positives Zeichen. Dieses positive Zeichen haben wir auch aufgenommen in unsere Anträge und hofften auf eine gemeinsame Beschlussfassung.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerade mit Blick auf die Beseitigung der bestehenden Diskriminierungen bezogen auf die sexuelle Identität hat Thüringen eine besondere herausgehobene Aufgabe, eine besondere Stellung, denn die Landesverfassung hat im Vergleich zu den vielen anderen Landesverfassungen in Deutschland oder auch zum Grundgesetz ausdrücklich in Artikel 2 das Benachteiligungsverbot an sexueller Orientierung aufgenommen. Hieran, werte Mitglieder der Landesregierung, werte Mitglieder der Koalitionsfraktionen, wollen wir Sie auch noch einmal erinnern.


In wenigen Wochen und Tagen werden wir uns an die 20-jährige Verabschiedung der Thüringer Verfassung erinnern, werden Veranstaltungen begehen und da ist es wichtig, dass wir auch den Artikel 2 nicht nur auf dem Papier beschrieben haben, sondern auch ausdrücklich leben. Denn was schadet einer Verfassung mehr, wenn Glaubwürdigkeit und Akzeptanz nicht wirklich umgesetzt wird, wenn Verfassungstexte oder Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit so sehr auseinanderklaffen, wie es bisher noch der Fall ist.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Werte Abgeordnete, also ist es richtig, dass wir uns gemeinsam um die Rehabilitierung der Verurteilten nach dem § 175 in Ost und West gleichzeitig kümmern, denn sie haben unsere gemeinsame Solidarität von dieser Stelle verdient. Wir haben - und das sagte Frau Rothe-Beinlich bereits - uns in unserem Antrag vor allen Dingen darauf konzentriert, eine offizielle Entschuldigung des Landtags an die Betroffenen für ihr erlittenes Unrecht einzufordern.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen - und das ist auch der Unterschied zu dem Alternativantrag - die Aufhebung aller Strafurteile ohne die Einzelfallprüfung und wir wollen eine entsprechende Entschädigung für die Betroffenen. Wir gehen nochmals davon aus - und das ist vielleicht auch für die Personen, die hier oben auf der Tribüne sitzen wichtig -, dass es um Urteile geht, die in den deutschen Staaten nach dem 8. Mai 1945 bzw. ab 1949 gefällt wurden. Die Urteile werden gefällt auf der Grundlage des § 175 und - wie bereits auch Herr Scherer erwähnte - ist der § 175 in der BRD der Paragraph, der auch zu Nazizeiten in Anwendung gebracht wurde. Zu DDR-Zeiten wurde eine andere inhaltliche Ausrichtung des § 175 gewählt und benutzt. Dieser wurde bereits 1968 dieser aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Wir gehen davon aus - und das haben auch Erhebungen in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht -, es handelt sich um eine Anzahl von Betroffenen in den alten Bundesländern von ca. 55.000, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR von ca. 1.300 bis 2.000 Personen. In den ersten 15 Jahren der alten Bundesrepublik wurden aufgrund des § 175 45.000 Verurteilungen registriert. Es ist bereits heute erwähnt - und das ist auch gut so -, dass durch das Bundesjustizministerium ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben wurde und erste Ergebnisse in den letzten Wochen in einem Buch veröffentlicht worden sind, wo auch noch einmal der Hintergrund der Verurteilungen dargelegt wurde.


Werte Abgeordnete, werde Kolleginnen und Kollegen, wir sehen auch, dass die Tatsache noch weiter im Raum steht, dass vor allem die Verurteilten nicht den Mut hatten in den letzten Jahren, sich zu outen, dass sie nicht losgegangen sind und haben sich bei ihrem Dachverband, dem LSVD, gemeldet und haben gesagt, wir sind diejenigen, die es betroffen hat, weil die Scham einfach viel zu groß ist. Deswegen sprechen wir uns ausdrücklich für eine allgemeine Aufhebung der Urteile ohne Einzelfallprüfung noch einmal an dieser Stelle aus.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, ich war auch etwas enttäuscht und ich bin es noch heute, dass dieser Alternativantrag von Ihnen hier vorgelegt wird. An die SPD kann ich nur sagen, Sie bleiben mit dem Alternativantrag weit hinter den Forderungen Ihrer alten Bundesländer, wo Sie die Landesregierung stellen, zurück.


(Beifall DIE LINKE)


Das bedaure ich ausdrücklich. Ich bedaure auch ausdrücklich, dass Sie in Ihrem Antrag den § 151 des DDR-Strafgesetzbuches mit hineingeschrieben haben. Wir als LINKE sagen eindeutig, er gehört nicht in dem Zusammenhang in diesen Antrag,


(Beifall DIE LINKE)


denn die Vorschrift des § 151 des DDR-Gesetzbuches, das ab 1968 galt und 1988 abgeschafft wurde, formuliert eindeutig - und es ist auch nachzulesen -, dass dieser § 151 im Abschnitt mit den Vorschriften über den strafrechtlichen Jugendschutz steht. Das heißt nichts anderes, dass der § 151 den Regelungsbereich des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher betrifft. Als Täter im Sinne dieser Vorschrift konnten sich Männer und Frauen strafbar machen. Nun kann man darüber durchaus kritisch diskutieren, dass im DDR-Strafrecht bei sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen bis 18 Jahre unterschiedliche Maßstäbe angesetzt worden sind hinsichtlich der Strafbarkeitskriterien wie Altersgrenze, Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der Opfer. Aber ich will noch einmal betonen, es hat nichts, aber auch wirklich nichts unserer Meinung nach mit dem Tatbestand der Verurteilten nach § 175 zu tun. Die Zielsetzung also der Vorschrift des § 151 Strafgesetzbuch der DDR war der Jugendschutz. Und das sollten wir in der Debatte klar auseinanderhalten und auch noch einmal deutlich machen.


Dagegen stellte die Vorschrift des § 175 die einvernehmliche Entscheidung erwachsender Männer zum gemeinsamen Leben ihrer sexuellen Identität unter Strafe. Strafbarkeit knüpft an das „so sein und so leben“ der Personen an, obwohl sich die Beteiligten freiwillig dafür entschieden haben. Das, werte Kolleginnen und Kollegen, ist von dieser Stelle noch einmal deutlich zu machen und nicht zu kritisieren. So sein und so leben von Menschen zu bestrafen, macht die Menschen und Grundrechtswidrigkeit genau des § 175 deutlich. Ich sage auch, Strafrecht darf nicht missbraucht werden, um Lebensformen von Menschen mit Repressionen zu erfüllen. Aus diesem Grunde, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, wird meine Fraktion Ihrem Alternativantrag mehrheitlich nicht zustimmen können, weil einfach folgende Dinge nicht beachtet worden sind. Ich will sie noch mal kurz zusammenfassen. Es ist keine Entschuldigung in Ihrem Alternativantrag formuliert, es ist keine Entschädigung in Ihrem Alternativantrag formuliert und es ist eine Zusammenmischung zwischen dem § 175 Strafgesetzbuch und dem § 151 Strafgesetzbuch der DDR, den wir so an dieser Stelle gemeinsam nicht akzeptieren können. Danke schön.


(Beifall DIE LINKE)


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