Situation der Hebammenarbeit in Thüringen Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE und der Antwort der Landesregierung - Drucksachen 5/962/1616 - auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/1735 -

Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/1735 -


Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, was hat die Aussprache zu einer Großen Anfrage mit der Geburt eines Kindes gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten Blick viel - und Sie wissen es - haben wir das Thema auf der Tagesordnung das dritte Mal geschoben. Also man kann es nie so taggenau sagen, wann es kommt.

Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich den 282 freiberuflich tätigen sowie den 185 festangestellten Hebammen und Entbindungspflegern in Thüringen recht herzlich Danke sagen für ihre engagierte Arbeit.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jährlich kommen in Thüringen ca. 16.000 Babys zur Welt. Begrüßt wird ein jedes von ihnen durch die Hände einer Hebamme. Denn in Deutschland haben alle Frauen laut Mutterschutzgesetz ein Recht auf Hebammenhilfe, angefangen von der Feststellung der Schwangerschaft, der Durchführung der Mutterschaftsversorgung, der Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden und bei den Wehen. Natürlich ist bei der Geburt sogar eine Hinzuziehungspflicht von Hebammen gesetzlich festgeschrieben. Die Mütter werden im Wochenbett und bis zum Ende der Stillzeit betreut. Der Beruf der Hebamme ist somit einer der ältesten Berufe in der Welt. Bereits aus prähistorischen Quellen ist uns die Existenz von Geburtshelferinnen bekannt. Lehrbücher in der Antike zeugen von einem hohen Wissensstand der Frauen, die bei der Geburtshilfe tätig waren. Die Frauen hatten auch Kenntnis, nicht nur über die Schwangerschaft, sondern auch natürlich über Schwangerschaftsverhütung und Abtreibung, was insbesondere den Frauen im Mittelalter oft zum Verhängnis wurde. Ich erinnere hier nur an die Hexenverbrennungen. Der Einfluss der Frauen aber wurde durch ihre ärztlichen Konkurrenten im Mittelalter eingedämmt. 1452 wurde in Regensburg die erste Hebammenverordnung erlassen, 1491 folgte die der Stadt Ulm. Nach und nach erhielten die Frauen erst eine Zulassung, um als Hebamme arbeiten zu können, nachdem sie eine Prüfung ihrer praktischen und theoretischen Kenntnisse nachgewiesen hatten. Mit der einhergehenden Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert kam es zur Verschlechterung der Lage der Hebammen. Daran - und das erinnert nun wieder an die heutige Zeit - hat sich bis heute nicht viel geändert, denn der Kampf um die Sicherung des Lebensunterhalts der Hebammen hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder als Mittelpunkt der Diskussionen herauskristallisiert. So ist zu bemerken gewesen, dass vor allem die Hausgeburten und solche in den Geburtshäusern in den zurückliegenden Jahrzehnten als veraltet galten und zurückgegangen sind. Dies zeigen auch die Zahlen in unserer Großen Anfrage. Waren 2000 noch 352 Haus- sowie Geburtshausgeburten zu verzeichnen, ging die Zahl im Jahr 2009 auf 204 zurück.


Heute - und auch das zeigt uns die Antwort aus der Großen Anfrage - werden die Kinder mehrheitlich in Krankenhäusern und Kliniken geboren. Während die Ärzte ihre eigenen Ständevertretungen wie zum Beispiel den Marburger Bund haben, hat sich die Lobby der Berufshebammen oder der Hebammen in den zurückliegenden Jahren nicht so sehr stark entwickelt. Solange die Situation der Hebammen auf den ersten Blick im Bund und im Land relativ als positiv bezeichnet wurde, war ihre Situation auch nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Das änderte sich - zunächst sehr positiv - mit der Diskussion um einen verbesserten Kinderschutz und mit der Ausbildung der sogenannten Familienhebammen. Seit über einem Jahr jedoch ist die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Bedrohung des Berufsstandes an sich selbst gerichtet, und zwar seit der Ankündigungen, dass die Beiträge für die Hebammen zur Berufshaftpflicht zum 1. Juli 2010 auf 3.700 € angehoben werden sollten, und dies bei einem durchschnittlichen zu versteuernden Jahreseinkommen von 14.000 bis 16.000 €. Ich denke, das lässt schon aufhorchen. 2007 lag der Beitrag für diese Berufshaftpflicht noch bei ca. 1.300 €, also knapp zwei Drittel weniger der jetzigen Belastung. Hebammen und ihre Landesverbände, also auch die in Thüringen, haben sich öffentlich gegen diese Belastungen zur Wehr gesetzt, da diese Beitragspflicht für immer mehr freiberuflich Tätige das Aus bedeutet. Die Protestformen - Sie haben Sie alle unterschiedlich in Ihren Fraktionen begleitet - in den letzten Monaten waren sehr, sehr vielfältig. Mahnwachen, E-Petition im Bundestag sowie eine Vielzahl von Unterschriftenaktionen und Gesprächen vor Ort mit uns als Politikerinnen standen auf der Tagesordnung.


Vor diesem Hintergrund hat die Fraktion DIE LINKE im Mai 2010 die heute zur Diskussion stehende Große Anfrage zur Situation der Hebammenarbeit im Lande eingereicht, weil eben genau über die Arbeit der in Thüringen tätigen Hebammen uns viel, viel zu wenig bekannt ist. Die Antwort auf unsere 100 Fragen beweist, dass die Statistik und auch die Informationen, die die Landesregierung uns geben konnte, nicht ausreichend sind, um wirklich ein realistisches Bild über die Versorgung der Hebammen und ihrer Arbeitsbedingungen zu erhalten. An der Stelle sage ich auch ausdrücklich, auch wenn die Ministerin im Moment nicht im Raum ist, wir haben zwar mehrfach im Sozialausschuss dieses Thema immer wieder aufgerufen, aber ich mache auch hiermit der Ministerin oder dem Staatssekretär keinen Vorwurf, dass es keine Zahlen und statistischen Erhebungen gibt, denn es ist eine Problematik der Bundesstatistik. Auch hier muss unbedingt nachgesteuert werden. Ich weiß, auch hier gibt es in Berlin, im Bund auch vonseiten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anträge, um das zu verändern.


Ich möchte mich, wenn wir uns heute noch mal der Großen Anfrage und den Antworten widmen, auf einige inhaltliche Themen ganz kurz beschränken. Denn ich gehe davon aus, wir werden diese Anfrage an den Sozialausschuss überweisen und dort mit Vertreterinnen und Vertretern eine öffentliche Anhörung zu dieser Problematik vornehmen. Folgende Dinge sind mir beim Durcharbeiten der Anfrage aufgefallen, die ich hier auch noch einmal kurz benennen möchte. Es ist z.B. sehr, sehr unterschiedlich, wie die durchschnittliche Verweildauer von Frauen nach einer Geburt in den Krankenhäusern in Zahlen ausdrückt. Dies ist zu hinterfragen. Bleiben entbundene Frauen in der Hufelandklinik Bad Langensalza im Durchschnitt drei Tage im Krankenhaus, so sind es in Friedrichroda 4,4 Tage oder in Weimar sogar 2,5 Tage. Noch krasser sind die Unterschiede der Verweildauer, immer im Durchschnitt natürlich, im Vergleich der Kliniken nach einem Kaiserschnitt. Im HELIOS-Klinikum Erfurt bleiben Frauen im Durchschnitt neun Tage, in Bad Langensalza fünf und in Weimar 3,5 Tage im Klinikum. Zu hinterfragen ist aber auch die Anzahl der stets steigenden Geburten durch Kaiserschnitt. Laut Aussage der Landesregierung stieg die Anzahl der Kaiserschnitte in den Thüringer Krankenhäusern von 17,2 im Jahr 2000 auf 25,7 Prozent im Jahr 2008. Die Frage, wie viele entbundene Frauen Komplikationen bei der Geburt hatten, konnte die Landesregierung uns nur noch statistisch mit den Angaben von den Jahren 2000 bis 2004 beantworten. Ab 2005 ist das Merkmal „Entbundene Frauen mit Komplikationen“ aus der Krankenhausstatistik gestrichen. Ich bin gespannt, wie die Begründung genau dafür lauten wird.

Werte Abgeordnete, lassen Sie mich noch das Thema ansprechen, über welches hier im Landtag in den zurückliegenden Jahren immer wieder diskutiert worden ist, die Familienhebammen. In der Arbeit der Familienhebammen geht es nicht nur um Schwangerschaft und Mutterschutz, es geht, und das wissen Sie alle hier im Raum, um viel, viel mehr. Der Beruf entwickelt sich besonders in den letzten Jahren zu einem wichtigen Baustein im Rahmen des Kinderschutzes und der gesundheitlichen und sozialen Prävention. Beweis hierfür sind zurzeit die 44 tätigen ausgebildeten Familienhebammen. Hebammen sind oft die Ersten und nicht selten auch die Einzigen, die in den Familien eingelassen werden, weil ihnen die Frauen in einer ganz besonderen Phase ihres Lebens großes Vertrauen und viel Offenheit entgegenbringen. Wir können es uns nicht leisten, genau dieses Pfand zu verschenken, indem wir viel zu wenig tun, um diesen Berufsstand und dessen Existenz zu sichern.


Werte Abgeordnete, umso verwunderlicher ist es, dass eine Vielzahl von Landkreisen und kreisfreien Städten gibt - und ich möchte an der Stelle nur exemplarisch die Städte Eisenach, Nordhausen, Sömmerda, Suhl oder Schmalkalden-Meiningen als Landkreis nennen -, die keine tätigen Familienhebammen haben. Der Hintergrund scheint uns zumindest bekannt zu sein. Viele Jugendämter scheuen sich davor, die Kosten für die Fachleistungsstunden für ausgebildete Familienhebammen zu übernehmen. Aber auch hier benötigen wir in Zukunft weitere kreative neue Planungsansätze, um eine kontinuierliche finanzielle Absicherung der Arbeit dieser Familienhebammen zu gewährleisten. Da ist der geschlossene Kooperationsvertrag zwischen der AOK und dem Thüringer Sozialministerium, der für die AOK-Versicherten einen verlängerten Einsatz der Familienhebammen von acht auf zwölf Wochen regelt, nur ein Beispiel, wie genau hier intensiver noch einmal in die Diskussion eingegriffen werden sollte und dieser Vertrag auch auf die anderen Krankenkassen übertragen werden sollte.


Werte Abgeordnete, die von mir angerissenen Punkte stehen natürlich - ich sagte es bereits - nur exemplarisch, da wir im Sozialausschuss über diese Anfrage und die Auswertung weiter reden möchten. In Anbetracht der bereits erwähnten 100 Antworten auf unsere Anfrage und die dargelegte Analyse der Statistikprobleme darf die Ausschussberatung also nicht zum Selbstzweck verkommen. Wichtig ist uns als LINKE, dass wir alles tun, um die Absicherung der beruflichen Existenz auch der Thüringer Hebammen weiter voranzutreiben. Hier sind wir zum einen der Auffassung, dass die Krankenkassen und ihre Gebührenordnung endlich gefragt sind und endlich auch hier neue Wege beschritten werden müssen. Aber auch wir als Landes- und natürlich auch die Bundesebene sind gefragt, ihres dazuzutun. So ist es nicht länger hinnehmbar, dass der Hebammenverband kritisiert und dies mit Recht, dass die Arbeit von Hebammen in Deutschland immer noch nicht in einem Sozialgesetzbuch geregelt ist. Dies führt zu Rechtsunsicherheiten, die zulasten von schwangeren Frauen, Wöchnerinnen und auch neugeborenen Kindern gehen können. Eine gesetzliche Ausgestaltung der Hebammenleistung muss dem heutigen Berufsbild, vor allen Dingen mit dem starken präventiven Charakter, noch mehr Rechnung tragen. Bereits im Jahr 2005 haben die Hebammenverbände der ganzen Bundesländer eine Gesetzesinitiative eingefordert. Die ist bis heute nicht umgesetzt worden. Nur in einem Punkt wurden Verhandlungen aufgenommen und zwar bei der Übernahme der Betriebskosten.


Sie sehen, werte Abgeordnete, das Feld, welches wir bearbeiten sollen und müssen, ist groß und weit. Reihen wir uns ein, in die Forderungen auch des Thüringer Hebammenverbandes, die da lauten - und meine Fraktion begrüßt diese Forderungen ausdrücklich -: Es braucht eine unbedingte Anhebung der Honorare und Gehälter, die natürlich auch eine Existenz sichernde Arbeit und vor allen Dingen das Lebensniveau der Hebammen absichert. Wir brauchen die Überführung der Hebammenleistung von der Rentenversicherungsordnung in ein SGB V und wir brauchen vor allen Dingen weiterhin die freie Wahl des Geburtsortes für jede Frau. Danke.


Ich möchte nochmals die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit beantragen.


(Beifall DIE LINKE)


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