Thüringer Gesetz zur Beseitigung von Wahlrechtsausschlüssen

Karola Stange

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/6495

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/6495

 

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne!

 

Ja, Herr Thamm, wir haben den Gesetzestext geändert. Ja, wir haben die neue Bewertung nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil ernst genommen und darum haben wir die Inkraftsetzung des Gesetzes nach vorne gezogen. Ich denke, das ist Bürgerpflicht gewesen,

 

(Beifall DIE LINKE)

 

auch Bürgerpflicht vor dem Hintergrund, dass am letzten Dienstag in der Zeitung zu lesen war, dass der VDK, ein großer Verband, der sich für die Menschen mit Behinderungen einsetzt, ausdrücklich gefordert hat, dass dieser Gesetzentwurf bereits zu den Kommunalwahlen 2019 gilt.

 

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Fordern können die alles – es muss rechtssicher sein!)

 

Und das ist einfach der Punkt, warum der Gesetzentwurf und das Inkrafttreten auch heute hier zur Diskussion steht.

 

Werte Kolleginnen und Kollegen, um was geht es? Ich will es einfach noch ein mal sagen. Es geht um 781 Personen in Vollbetreuung und 77 Personen in gesetzlicher Unterbringung in Thüringen – so die Zahlen, die uns im Moment vorliegen – die mit der jetzt zum Abschluss stehenden Gesetzesvorlage nun endlich wieder ein Wahlrecht bekommen bzw. zurückbekommen. Zugegeben, in Bezug auf die Insgesamtanzahl der Thüringerinnen und Thüringer, die zur Wahl stehen, circa eine Millionen Bürgerinnen und Bürger, ist das eine sehr, sehr kleine Zahl und trotzdem – das habe ich bereits in der ersten Lesung zum Gesetzentwurf formuliert – rechtfertigt diese kleine Zahl nicht, weiterhin diese Bürgerinnen und Bürger von Wahlen auszuschließen. Wahlrecht ist Menschenrecht und das möchte ich immer wieder an der Stelle noch einmal – auch für Die Linke – formulieren.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD)

 

Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt in Artikel 29 ausdrücklich, dass auch Wahlrechtsausschlüsse nicht mehr nötig sein dürfen. Wir haben am 26. März, also diese Woche, zehn Jahre Inkrafttreten in Deutschland der UN-Behindertenrechtskonvention begangen. Diese zehn Jahre verpflichten – und das sage ich an der Stelle immer und immer wieder – das Land Thüringen, aber auch die Kommunen aktiv zum Handeln. Mit dem aktiven Handeln wird der heute zur Rede stehende Gesetzentwurf seine volle Wirkung entfalten. Wir gehen davon aus, werte Kolleginnen und Kollegen, dass das Nachteilsausgleichsgebot zugunsten behinderter Menschen in Artikel 2 Abs. 2 der Thüringer Verfassung uns dieses Handeln wirklich aufgezwungen hat und aufzwingt. Lassen Sie uns also an der Stelle nicht weiter darüber orakeln, ob es vielleicht verfassungsrechtlich nicht konform war, so wie es Herr Thamm gesagt hat, sondern lassen Sie uns lieber handeln, dass diese verfassungsrechtliche Pflicht, dass Menschen, die bisher vom Wahlrecht ausgeschlossen waren, endlich wählen dürfen! Das ist, denke ich, der Punkt, um den es heute geht.

 

Werte Kolleginnen und Kollegen – Frau Marx hat es bereits formuliert –, im Moment haben wir drei unterschiedliche Kategorien von Bürgerinnen und Bürgern, wenn es ums Thema „Wählen“ geht. Wir haben auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger, die unter keiner gesetzlichen Betreuung stehen, aber wo die Familienangehörigen eine Vollmacht haben und sie betreuen. Diese Vollmacht hat auch dazu geführt, dass natürlich diese Bürgerinnen und Bürger zur Wahl gehen oder sie eine Briefwahl machen konnten. Wir haben auf der anderen Seite gesetzliche Betreute, die nicht in Vollbetreuung sind. Auch diese durften zu den zurückliegenden Wahlen immer ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen. Und wir haben die von mir bereits erwähnten 781 Bürgerinnen und Bürger, die unter einer gesetzlichen Vollbetreuung stehen und in den letzten Jahren immer von Wahlen ausgeschlossen waren. Nun soll mir mal jemand erklären, warum genau diese Bürgerinnen und Bürger ausgeschlossen werden. Ich denke, es ist gut und richtig, dass sich das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Wochen dazu ganz stark artikuliert und diese Wahlrechtsausschlüsse wirklich per Gesetz verboten hat, werte Kolleginnen und Kollegen.

 

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Denn ich sage noch mal: Wahlrecht bedeutet, die Möglichkeit der Mitbestimmung zu haben. Und diese Möglichkeit, werte Kolleginnen und Kollegen, sollte allen Menschen ab einem bestimmten Alter wirklich gegeben werden. Und ich sage auch – da sind wir unterschiedlicher Auffassung –: Das Wahlalter könnte meiner Meinung nach bei Landtagswahlen auch schon bei 16 Jahren liegen. Das ist noch nicht so, aber das ist ein Punkt,

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

über den man perspektivisch auch reden muss. Wir haben jetzt das Wahlalter 16 Jahre bei Kommunalwahlen als ersten Schritt auf kommunaler Ebene, auf Landesebene wird sich sicherlich in einer neuen Legislatur auch diesbezüglich noch etwas tun.

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich will wirklich noch mal bekräftigen, dass wir diesen Abwägungsprozess – auf der einen Seite, ob es machbar ist, ob die Kommunen es hinbekommen, diese Wählerverzeichnisse zu ändern, und auf der anderen Seite, ob die Bürgerinnen und Bürger, die bisher vom Wahlrecht ausgeschlossen waren, vielleicht auch ihren Weg gehen und gegen diesen Wahlrechtsausschluss gesetzlich vorgehen werden – durchgeführt und uns dafür entschieden, mit dem vorgezogenen Inkrafttretungstermin des Gesetzentwurfs eine klare Ansage zu machen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen zur Kommunalwahl Ende Mai den Weg zum Wahllokal gehen können. Wir gehen davon aus, dass wir somit auch auf der rechtlichen Seite sind.

 

Ich gehe auch davon aus, dass der Innenminister – und Staatssekretär Götze wird das sicher auch so ins Haus mitnehmen – alles tun wird, dass eventuelle im Raum stehende Hürden geklärt werden, dass es Handreichungen für die Kommunen gibt, dass sie natürlich auch die Handreichungen so formulieren, dass den Bürgerinnen und Bürgern noch mal erklärt wird, welche Schritte sie zu gehen haben, um in die Wählerverzeichnisse aufgenommen zu werden. Ich denke schon, dass das Innenministerium und damit die Mitarbeiter im Innenministerium auch einen politischen Auftrag hier vom Landtag erhalten und dass es keine weiteren Diskussionen an der Stelle gibt.

Und ich will auch an der Stelle noch mal formulieren: Ich finde es unsäglich, wenn immer wieder davon gesprochen wurde, auch in den zurückliegenden Monaten, dass vielleicht eine bestimmte Gruppe von Menschen gar nicht in der Lage ist, ihren politischen Willen zu artikulieren. Doch, jeder kann seinen politischen Willen artikulieren

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

und zur Hilfe dieser Artikulation gibt es Assistenz. Die haben wir bereits in unterschiedlicher Art auf den Weg gebracht. Auf der einen Seite gibt es für Menschen, die hochgradig sehbehindert sind, oder blinde Menschen die Wahlschablonen. Es gibt die Möglichkeit der Assistenz und es gibt die Möglichkeit bei Briefwahl, dass es eine Assistenz gibt, wenn Bürgerinnen und Bürger Briefwahl durchführen. Das kann auch bei den Menschen gemacht werden, die zurzeit unter Vollbetreuung stehen.

 

Werte Kolleginnen und Kollegen, im Namen der Fraktion Die Linke, aber auch im Namen von Rot-Rot-Grün bitten wir um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, damit er für diese 781 Personen plus die 77 Personen in gesetzlicher Unterbringung auch noch für die Kommunalwahlen in diesem Jahr gilt. Dafür werbe ich. Recht herzlichen Dank.

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