Thüringer Seniorenmitwirkungsgesetz (ThürSenMitwG)

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 5/3900

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 5/3900

 

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Zuschauer auf der Tribüne oder zu Hause am Livestream. Ihnen und uns liegen heute zwei Gesetzentwürfe vor, die die größere Beteiligung der älteren Generation vorsehen. Ein Thema, das schon lange zur Diskussion steht und zum Beispiel in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Berlin längst geregelt ist. Mehr Beteiligung, mehr Mitbestimmung sind schon seit Langem Anliegen von Seniorinnen und Senioren. Anliegen, die sich auch im diesjährigen Europäischen Jahr des aktiven Alterns und beim 10. Deutschen Seniorentag wiederfinden, der heute in Hamburg unter dem Motto „Ja zum Alter“ eröffnet wird.


DIE LINKE hat schon in der letzten Legislatur ein Mitbestimmungsgesetz vorgelegt und es in dieser Legislatur bereits im Februar 2010 erneut eingebracht; wir hörten bereits davon. Wir haben darin eine gesetzliche Verpflichtung zur Schaffung von Seniorenbeiräten auf kommunaler und auf Landesebene vorgesehen, die gesetzliche Absicherung der engen Zusammenarbeit der Seniorenbeiräte und Seniorenorganisationen und die gesetzliche Absicherung der Logistik und der Arbeit der Seniorenbüros. Nach der Einbringung unseres Gesetzes gab es am 12. August 2010 eine Anhörung im Sozialausschuss. In dieser Anhörung sagte die Vorsitzende der Landesseniorenvertretung, Frau Ellenberger, dass sie den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE ausdrücklich begrüße, da genau diese gesetzlichen Rahmenbedingungen zu den langjährigen und wichtigen Forderungen gehören.


(Beifall DIE LINKE)


Seit über zehn Jahren wünscht man sich, dass die Arbeit der Senioren auf den verschiedensten Ebenen in gesetzliche Rahmen gefasst wird. Nach dieser Anhörung - auch das haben wir bereits gehört - haben wir gewartet. Wir haben Wochen und Monate und mittlerweile zwei Jahre darauf gewartet, dass die Landesregierung ihren eigenen Gesetzentwurf vorlegt. Heute nun ist es so weit, und wir können abschließend unsere zwei Gesetzentwürfe - also den der Fraktion DIE LINKE und den der Landesregierung beraten. Aber hat sich das Warten gelohnt? Das ist die Frage, die wir uns heute gemeinsam hier beantworten sollten. Ich sage Nein. Wir hofften, dass die eine oder die andere Anregung aus unserem Gesetzentwurf von der Landesregierung mit aufgenommen werden würde. Auch hatten wir gehofft, dass Impulse aus der umfänglichen Anhörung aus unserem Gesetzentwurf, aber auch aus der Anhörung des Gesetzentwurfs der Landesregierung mit in die heutige Abstimmung einfließen könnten. Aber all das ist nicht geschehen. Weder die Anhörungen sind ernsthaft ausgewertet und die Kritiken aufgenommen worden.


(Beifall DIE LINKE)


Vorgaben wurden nicht wirklich gemacht. Über was haben wir also heute zu entscheiden? Auf der einen Seite - auf unserer Seite der Fraktion DIE LINKE - steht Mitbestimmung, auf der anderen Seite - der Seite der Landesregierung - steht Mitwirkung für Seniorinnen und Senioren. In beiden Fällen könnte man sagen, dass es darum geht, die Belange der älteren Generation ernst zu nehmen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Aber werden sie wirklich ernst genommen? Werden sie gehört, wenn alles auf Freiwilligkeit beruht? Wir wollen Mitbestimmung, wollen, dass Seniorinnen und Senioren eingebunden werden, dass sie gehört werden. Mitbestimmung heißt für uns, heißt für die Fraktion DIE LINKE, Teilhabe aller in einer Organisation vertretenen Gruppen an der Willensbildung und am Entscheidungsprozess. Im Gegensatz dazu beschränkt sich die hier vorgeschlagene Mitwirkung, auf die die Landesregierung abzielt, darauf, dass unter anderem die Gemeinde- oder Stadträte und die Kreistagsabgeordneten vorschlagen könnten, die ältere Generation mit einzubeziehen, ihnen Rechte einzuräumen, aber sie erhalten kein Antrags- und kein Rederecht und schon gar kein Entscheidungsrecht. DIE LINKE stellt heute erneut fest, es ist gar keine stärkere Beteiligung der Generationen durch den Gesetzentwurf der Landesregierung gewollt.


(Beifall DIE LINKE)


Mit diesem Placebo-Gesetz wird eine jahrelange engagierte Diskussion abgebrochen. Das brüskiert viele Seniorinnen und Senioren in diesem Lande und signalisiert ihnen heute aufs Erneute, eine echte gewollte Mitarbeit ist nicht auf der Tagesordnung. Sicher, die Landesregierung wird von sich nach der Verabschiedung ihres Gesetzentwurfs behaupten, sie habe ja die Anliegen der Seniorinnen und Senioren ernst genommen. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt und Sie haben einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag erneut abgehakt. Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, was ist bitte schön in dem Gesetz geregelt? Es können Beiräte einberufen werden, müssen aber nicht. Es können Seniorenbeauftragte installiert werden, müssen aber nicht. Beide Möglichkeiten gibt es heute schon. Auch jetzt soll es keine hauptamtlichen Strukturen geben, keine verbindliche Finanzierung. Dies wird nach Haushaltslage entsprechend abhängig gemacht und so, sagen wir auch, ist keine kontinuierliche Arbeit im Interesse der Seniorinnen und Senioren möglich. Ergo, fast alles bleibt, wie es ist, und das eine oder das andere ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Ich möchte ein paar Beispiele dazu nennen: Wie soll der Landesseniorenrat arbeiten und entscheiden, wenn ein Großteil der stimmberechtigten Mitglieder, nämlich die Seniorenbeauftragten, die es gar nicht geben muss, nicht vorhanden sind? Sie können gewählt werden und sie werden meist in den kreisfreien Städten oder den Landkreisen es auch wahrscheinlich weiterhin nicht. Wann betrifft das Thema „überwiegend" Seniorinnen und Senioren, wie es in § 3 Abs. 2 heißt? Dürfen Seniorinnen und Senioren nur über das Thema Pflegeheime und Pflege diskutieren oder ist es ihnen auch erlaubt, Stellungnahmen zu einer Bauordnung oder zur Stadtentwicklung abzugeben, obwohl diese Thematik nicht nur Senioren, sondern alle Generationen betrifft.

Wie soll die Aufgabentrennung zwischen Seniorenrat und Landesseniorenvertretung aussehen? Wie sollen ehrenamtliche Strukturen auf Dauer verstetigt werden, wenn es keine hauptamtliche Unterstützung und keine finanziellen Ressourcen geben soll? Die Landesregierung hat unserer Auffassung nach einen Salto gedreht, den Eindruck erweckt, dass sie sich bewegt hat und ist auf demselben Punkt wieder aufgekommen, von dem sie losgesprungen ist.


(Beifall DIE LINKE)


Hier muss ich den Vertretern des Thüringer Landkreistages und des Gemeinde- und Städtebundes recht geben; ein solches Gesetz ist vollkommen überflüssig. Wir sind zwar hinsichtlich einer verbindlichen Beteiligung von älteren Menschen grundsätzlich anderer Ansicht als in kommunalen Spitzenverbänden, aber an dieser Stelle treffen sich unsere Meinungen genau. Wer also den Status quo der Unverbindlichkeit in einem Gesetz unverbindlich festschreibt, ist nicht mehr als ein Akrobat in einer Zirkusmanege, und diese Tricks sind leicht zu durchschauen.


(Beifall DIE LINKE)


Werte Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung ist eine große Chance vertan worden, Seniorinnen und Senioren auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse ernsthaft bei der gesellschaftlichen Gestaltung einzubinden. Hier stimmen wir mit dem DGB überein; sicher, sie dürfen mitwirken, das durften sie aber bereits jetzt auch schon. Dabei gibt es zukunftsrelevante Themen, auf die ältere Menschen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung einen besonderen Blick haben, die auch für eine jüngere Generation wichtig sind. Ob Ostdeutsche in der Rentenversorgung weiter wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden, mag für die heute 30-Jährigen nicht relevant sein, wird aber in Zukunft auch sie betreffen. Gleiches gilt für die Frage, ob Menschen im Alter überhaupt noch menschenwürdig leben können oder ob sie von Armut betroffen sind. Wie werden unsere Städte in Zukunft aussehen? Hier hilft, so glauben wir ganz ernsthaft, ein seniorentypischer Blick, die Kommunen auch für alle Bürgerinnen und Bürger in Zukunft bewohnbar zu machen. Dort, wo barrierefreie Zugänge zu Verkehrsmitteln, Arztpraxen und öffentlichen Gebäuden vorhanden sind, profitieren nicht nur die älteren Menschen, sondern auch Eltern mit Kinderwagen, Menschen in Rollis oder solche, die schwere Gepäckstücke von den Einkäufen transportieren. Wir sagen also, dort, wo Innenstädte nicht völlig verödet, wo nicht auf grüne Wiesen große Einkaufszentren verlagert werden, treffen sich die Generationen und können auch heute Berufstätige ihre Einkäufe erledigen und die Städte sind lebenswert. Das heißt also, generationsübergreifender Nutzen kann auf diese und auf die andere Weise durch Seniorenbeiräte und -beauftragte immer und immer wieder vor Ort ausgehen. All dies ist mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung nicht verankert worden, es ist nicht gewollt.


(Beifall DIE LINKE)


In diesem Sinne schlagen wir vor, dass der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE heute als zukünftiges Gesetz, welches in Thüringen gelten soll, abgestimmt wird, also mit Ja votiert wird, und ich möchte an der Stelle noch einmal ausdrücklich für unseren Gesetzentwurf werben. Den Gesetzentwurf der Landesregierung lehnen wir ab, weil - ich habe es bereits begründet - er schadet nicht, aber er hilft auch nicht. Danke schön.


(Beifall DIE LINKE)


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