Ministerin Heike Werner in Erfurt – Von Inklusion bis Arbeit, Teilhabe und Anerkennung

[WKM] Michael Bicker

Fördern vor dem Fordern; Anerkennung, Lob und Motivation statt Sanktion, Perspektiven bilden und individuelle Betreuung. Was nach Utopie klingt wird täglich von den zahlreichen Mitarbeiter_innen der Jugendberufsförderung Erfurt gGmbH und dem EURATIBOR e.V. geleistet. Im Gespräch mit Ministerin Heike Werner, MdL Karola Stange und zahlreichen weiteren Vertreter_innen aus dem Sozialbereich wurden beide Einrichtungen begangen und viele Anregungen aufgegriffen.

Besonders das Zusammendenken von Ausbildung und Arbeitsvermittlung, also Menschen an ihrem Standpunkt abzuholen und nach der Qualifikation auch weiterführende Hilfe zu bieten, ist Herausstellungsmerkmal dieser Institutionen. Dabei werden Menschen mit Handicaps aller Art inkludiert. Der an uns getragene politische Auftrag ist das Schaffen von Netzwerken, Institutionen und Mitteln für eine vollumfängliche Betreuung, also nicht nur das Lehren und Lernen, bis in das Arbeitsleben hinein, jetzt und weiterhin. In Erfurt kann das die Verlängerung der 50+ Maßnahme sein, die mit 30% Vermittlungsquote gute Ergebnisse in Kooperation mit dem EURATIBOR e.V. erreicht hat. Im Reden miteinander wurde hier kritisch auf unterbrochene Förderketten als Reproduktionszentren prekärer (Arbeits-)Situationen hingewiesen. Maßnahmen ohne genug Zeit bringen nichts und kosten auf Dauer mehr als sie bringen.

In diesem Kontext gilt es die Maßnahmen der Agentur für Arbeit zu verändern. Im Sinne des auf Bundesebene von der LINKEN geforderten Passiv-Aktiv-Transfers heißt das nichts anderes, als Geld, Zeit und Personal für Arbeit einzustellen, anstatt für effektlose Maßnahmen zur Beschäftigung. Auch kapitalistisch betrachtet sind Folgekosten von Langzeitarbeitslosigkeit größer als Prävention, wie die Abschlussbetrachtung des schon 2012 in Baden-Württemberg durchgeführten Modellprojekt zum Passiv-Aktiv-Transfer zeigt.

Das KNV Medienlogistikzentrum in Erfurt ist mit 1000 Mitarbeitern ein großer Arbeitgeber. Hier zeigt sich das Spannungsfeld von sozialen Ansprüchen und Arbeitsrealität deutlich. Durch den induzierten Wunsch Waren schnellstmöglich zu erhalten sieht sich KNV gezwungen schnell zu liefern und arbeitet daher in Schichten, ist auf eine Lieferung durch LKW angewiesen und braucht zum Weihnachtsgeschäft Sonntagsarbeit. Alternative Zeitmodelle, wie etwa die sogenannte "Muttischicht" sind dadurch nur erschwert möglich.

Politisch sind wir in der Verantwortung Rahmenbedingungen zu schaffen die Arbeitnehmern und Arbeitgeber ermöglichen soziale Probleme zu bewältigen. Auf Landesebene wird hierzu ein Arbeitskreis im Wirtschafts- oder Sozialministerium wieder eingerichtet. Kritisch zu bemerken ist, dass KNV etwa ein Fünftel seiner Direktinvestitionen für den Standort in Erfurt gefördert bekam, die Firmenzentrale allerdings in Stuttgart verbleibt. Karola Stange betonte kritisch, dass das Einrichten eines Betriebsrats in KNV wichtig sei, da das Unternehmen auf bis zu 1200-1300 Mitarbeiter_innen wachsen wird. Die Bezahlung der Beschäftigten beginnt bei etwas über 9 Euro pro Stunde, allerdings sind Überstunden ein Regelfall.

Auf Einladung der Erfurter Linkspartei stellte sich Ministerin Werner im Haus Dacheröden der Erfurter Öffentlichkeit. Gemeinsam mit Karola Stange beantworteten sie die Fragen der etwa 80 Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Verbänden, Gewerkschaften und interessierten Bürgerinnen und Bürgern.Die angesprochenen Fragen reichten von der Arbeit der Sozialverbände, der Unterstützung für Flüchtlinge, über die deutlich werdende Diskriminierung von sexuellen Minderheiten bis hin zur immer noch ungelösten Frage der ungerechtfertigten Rentenunterschiede zwischen Ost und West. In der Frage der Rentengleichstellung kündigte die Sozialministerin ein Vorstoßen im Bundesrat an: "Thüringen wird, hoffentlich gemeinsam mit anderen Ländern, die Frage der Rentengerechtigkeit erneut auf die Tagesordnung setzen", sagte Werner. Bezüglich einer schon seit Jahren im Gespräch befindlichen Anti-Diskriminierungsstelle suche man nach einer Lösung, zusätzliche Personalmittel sollten aber möglichst vermieden werden. Eine gemeinsame Sicht mit vielen der Anwesenden gab es zur Einschätzung der oftmals zu geringen gesellschaftlichen Anerkennung von geleisteter Arbeit im Sozialbereich, wie das unter anderem bei den Beschäftigten in der Pflege, aber auch in anderen Bereichen, deutlich werde. Nach sieben Monaten resümiert die Ministerin zur neuen Regierung: "Die ersten Monate waren nicht leicht, wir sind als neue Regierung mit vielen schon sehr verhärteten Problemen konfrontiert. Hinzu kamen Zuständigkeitsfragen in den Ministerien und der Haushalt für 2015 und 2016/17. Wir haben aber bereits Akzente gesetzt, etwa in der Frage der Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen und für die medizinische Betreuung im ländlichen Raum. Für Menschen mit Sinnesbehinderung werden wir die Nachteilsausgleiche verbessern."