»Stadt des Friedens«?

Karola Stange

Im Überschwang der Nachwendejahre, als sich kaum jemand vorstellen konnte, dass einmal ein Bundespräsident dazu aufrufen könnte »zu den Waffen zu greifen«, beschloss der Erfurter Stadtrat unserer Stadt den Beinamen »Stadt des Friedens« zu geben. Seit dem hat sich viel getan: seit 2012 befindet sich das Einsatzzentrum der Bundeswehr in der Stadt. Hier werden die weltweiten Auslandseinsätze von Bundeswehrsoldaten geplant. Hier werden der Munitions- und Waffennachschub einerseits und der Abtransport von Verwundeten und Toten aus den Einsatzgebieten andererseits organisiert. Doch symbolisch ist Erfurt bereits seit 2007 wieder mit dabei. Am 29. März taufte die First-Lady der Stadt, die Ehefrau des Oberbürgermeisters Bausewein, die Korvette F262 der Bundesmarine auf den Namen »Erfurt«. Am 19. Januar 2015 lief sie nun nach vielen technischen Problemen in Richtung Mittelmeer zu ihrem ersten Einsatz aus. Sie ist Teil der UNFIL-Mission vor der Küste des Libanon, einem »so genannten robusten Mandat«, das die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung erlaubt. Inwieweit sie damit dem Anspruch ihrer namengebenden Stadt gerecht wird, ist zumindest fraglich.

Auch im Stadtbild ist die Bundeswehr zunehmend präsent. Seit dem 15. Januar 2015 ist eine Straßenbahn der Erfurter Verkehrsbetriebe AG mit Werbung für die Bundeswehr als Arbeitgeberin in der Stadt unterwegs. Wie auch in Kino- und Fernsehspots wird hier mit den vielfältigen Tätigkeitsfeldern und den guten Karrieremöglichkeiten geworben. Ein im Angesicht der Realität einer Armee im Einsatz doch eher zynisch wirkendes Versprechen. Denn die Bundeswehr ist kein Arbeitgeber wie die Post oder der Bäcker um die Ecke. Bis Juli 2014 kamen 104 Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen zu Tode. Darüber hinaus wurden 54574 weitere zwischen 1997 und 2008 bei Auslandseinsätzen verletzt oder verwundet.

Doch die Auslandseinsätze hinterlassen nicht nur mehr oder weniger schwere physische Spuren bei den Soldatinnen und Soldaten. Kameradinnen und Kameraden sterben zu sehen, zu sehen wie sie verletzt oder verwundet werden, Zivilisten unter den Folgen von Kampfhandlungen leiden zu sehen oder selbst gezwungen gewesen zu sein, andere Menschen zu töten und zu verwunden, hinterlässt bei vielen Verletzungen und Narben auf der Seele. Seit Jahren steigen die Zahlen derjenigen, die mit Posttraumatischen Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen, Depressionen und anderen psychischen Problemen zurückkehren.

Vor diesem Hintergrund ist es völlig inakzeptabel, dass in einer Stadt, die sich selbst »Stadt des Friedens« nennt, Fahrzeuge der kommunalen Verkehrsbetriebe mit Werbung der Bundeswehr, in letzter Konsequenz mit Werbung fürs Sterben und Töten, unterwegs sind. Entweder nimmt die Stadt bzw. der Stadtrat die eigenen Beschlüsse ernst und setzt sich für zivile Konfliktlösungen ein oder es wird Zeit, dass man sich endlich ehrlich macht.